Einblicke in Polens Gegenwartsliteratur

„Wer von Ihnen versteht polnisch?“, lautete die eingangs gestellte Frage, und nicht wenige Finger aus dem Publikum gingen in die Höhe. In einer Kooperationsveranstaltung des St. Ingberter Literaturforums (ILF) und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Saar (DPG) präsentierte sich einer der renommiertesten jungen Autoren unseres Nachbarlandes in der Stadtbücherei St. Ingbert einem überaus interessierten Auditorium.

ILF-Sprecher Jürgen Bost skizzierte zu Beginn die aktuelle politische und kulturelle Lage in Polen, Siegfried Wack, Vorsitzender der DPG Saar, verlieh in seinem Grußwort der Freude darüber Ausdruck, zu Gast in St. Ingbert sein zu dürfen und die Lesereise seines Gastes aus Warschau hier starten zu können.
Wojciech Kuczok war nicht allein gekommen: Ihm zur Seite standen Dr. Jerzy Wegrzynowski, Vorstandsmitglied der DPG Saar und Leiter des Ökologischen Schullandheims Spohns Haus, der souverän durch den Abend führte und die Präsentation der vorgestellten erzählerischen Werke moderierte. Als Übersetzerin fungiert Dr. Magdalena Telus, Vorstandsmitglied der DPG Saar und Lehrbeauftragte für Slawistik an der Universität des Saarlandes. Sie glänzte ebenso durch ihren äußerst ausdrucksstarken und lebendigen Vortrag der ins Deutsche übertragenen Textpassagen.
Die Lesung begann mit Kuczoks bedeutendstem Werk „Gnój” (Dreckskerl, 2003). Hierin schildert er mit einer mitunter drastischen, ironischen und surrealen Sprache eine oberschlesische Familiengeschichte aus den 70er und 80er Jahren, die seine eigene sein könnte. Für das Buch erhielt er 2004 den bedeutendsten polnischen Literaturpreis, die Nike, und die Verfilmung des Textes nach einem Drehbuch des Autors gewann 2004 auf dem Filmfestival in Gdynia den Hauptpreis. Das Buch wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. In all seinen Texten setzt Kuczok sich unverblümt mit den in Polen tabuisierten Themen wie Familie, Kirche und Homosexualität auseinander.

Foto: Sonja Colling-Bost
von links: Dr. Telus, Wack, Dr. Wegzynowski, Bost (stehend), Kuczok

Sein nächster Roman „Senność“ (dt. Lethargie), und der gleichnamige polnische Film erschienen 2008.  Diese „toxische Familiengeschichte“ stellt die Sprache selbst in den Mittelpunkt des Erzählakts und artikuliert deutlich das Unbehagen des Autors über die Entwicklung seines Landes. Insgesamt ist Kuczok Autor von 15 Büchern (Romane und Erzählungen). Sein letztes Buch, der Kriminalroman „Czarna“ wurde 2017 herausgegeben und erlebte in St. Ingbert die Premiere seiner deutschsprachigen Version. Diese Dreiecksgeschichte aus dem banalen Alltagsleben in der Provinz verlockte die Hörer wiederholt zu spontanem Applaus.
Zum Abschluss der Lesung dankte ILF-Sprecher Jürgen Bost dem Autor und allen Mitwirkenden für ihre Darbietungen. Als nächste Lesung im Rahmen des St. Ingberter Literaturforums kündigte er für den 8. November 2017 die Vorstellung der von Dirk Walter im Röhrig Universitätsverlag veröffentlichen Anthologie „St. Ingbert – Literatur einer Stadt – Streiflichter von Karl August Woll bis Martin Bettinger“ unter Mitwirkung von fünf der darin vorgestellten Autoren an. Am Mittwoch, dem 29. November 2017, werde Marion Poschmann aus Berlin zu Gast sein, die in der Stadtbücherei St. Ingbert ihren Titel „Die Kieferninseln“ präsentieren wird, der es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2017 geschafft hat.

Foto: Sonja Colling-Bost
von links: Dr. Wegzynowski, Kuczok, Dr. Telus

(Pressemitteilung ILF)

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