Am Nachmittag des 9. September 1939 lag ein Spätsommerschimmer über Rohrbach. Es war einer jener Tage, an denen die Sonne golden über den Dächern stand – bis plötzlich das Dröhnen von Motoren und das Rattern von Maschinengewehren die Stille zerrissen. Was sich an diesem Tag über der Mattenfabrik Hauck in der Spieser Straße abspielte, wurde zu einem der tragischsten Kapitel der Ortsgeschichte: Ein französisches Aufklärungsflugzeug stürzte nach einem Luftkampf ab, sechs Menschen verloren ihr Leben – fünf französische Soldaten und der neunjährige Rohrbacher Edgar Hauck.
Mehr als acht Jahrzehnte später erinnerten die Rohrbacher Heimatfreunde an dieses Ereignis. In einem Vortrag ihres zweiten Vorsitzenden Nico Rubeck beleuchteten sie nicht nur den dramatischen Luftkampf selbst, sondern auch die politischen und militärischen Umstände, die ihm vorausgingen. Über vierzig Zuhörer verfolgten die Ausführungen, ehe sie sich in einer Schweigeminute erhoben – ein stilles Zeichen der Anteilnahme, das auch Nachkommen der Familie Hauck tief bewegte.
Ein Ort im Schatten des Westwalls
Schon Monate vor Kriegsbeginn war das Saarland zu einem Nervenzentrum militärischer Aufrüstung geworden. Der Westwall, jenes gewaltige Bollwerk aus Beton und Stahl, zog sich in einem weiten Bogen von der Mosel bis an den Bliesgau. Über 4 000 Bunker, Panzergräben und Höckerlinien prägten das Bild der Landschaft. Auch um St. Ingbert und Rohrbach wurde fieberhaft gebaut – ein „Sicherheitsaufmarsch West“, der die Bevölkerung in Angst und Unsicherheit versetzte.

Im Tagebuch des St. Ingberters Adolf Jantzer spiegelt sich die Stimmung jener Tage: „Seit Wochen hing Krieg in der Luft“, notierte er im August 1939. „In der Nacht vom 25. auf den 26. August wurden etwa 500 Wehrpflichtige zum Grenzschutz beordert. Ganz St. Ingbert war auf den Beinen.“ Nur wenige Tage später wurde der Angriff auf Polen befohlen – der Beginn eines Weltkriegs, der mehr als 60 Millionen Tote fordern sollte.
Auch Rohrbach blieb von den Auswirkungen nicht verschont. Evakuierungspläne lagen bereit, die Gegend war in Rote und Grüne Zonen eingeteilt, deren Bewohner im Ernstfall ihre Heimat verlassen sollten. Tausende Familien aus dem Saarland traten im September 1939 den beschwerlichen Weg nach Thüringen, Franken oder Hessen an. Rohrbach selbst blieb verschont, doch die Geräusche der Front – der Donner der Geschütze, das Grollen der Flugzeuge – rückten bedrohlich nah.
Ein ungleicher Kampf am Himmel
An jenem 9. September kreuzte eine französische Maschine des Typs Bloch MB 200 den Luftraum über dem Bliesgau. Sie war ein zweimotoriger Eindecker, veraltet schon bei Kriegsbeginn. Über Rohrbach wurde sie von deutschen Abfangjägern des Jagdgeschwaders 53 gestellt, geflogen von Piloten in schnellen Messerschmitt Bf 109.
Was dann geschah, konnte Franz Schaar, ein noch lebender Augenzeuge, rekonstruieren: Schüsse, Rauch, ein Feuerball am Himmel – und schließlich der Absturz des brennenden Flugzeugs auf das Gelände der Mattenfabrik Hauck. Die Besatzung – Eugène Delozanne, Marcel Joly, Jean Charreires, Guillaume Petton und Jean Gaillières – kam ums Leben. Tragischerweise wurde auch Edgar Hauck, der Sohn des Fabrikbesitzers, von Wrackteilen getroffen. Man fand ihn unter den brennenden Trümmern.
Die fünf französischen Soldaten wurden auf dem Ehrenfriedhof in St. Ingbert beigesetzt – Seite an Seite mit deutschen Gefallenen. Nach Kriegsende wurden ihre sterblichen Überreste in die Heimat überführt. Doch der kleine Edgar Hauck blieb in Rohrbach – als stumme Erinnerung an die Sinnlosigkeit eines Krieges, der keine Grenzen zwischen Front und Heimat kannte.

Bewahren, um zu verstehen
Der Vortrag der Heimatfreunde will mehr als historische Fakten vermitteln. Er ist eine Einladung, Geschichte nicht zu vergessen, sondern sie zu begreifen – als Teil einer gemeinsamen europäischen Erinnerung. Der Blick auf den 9. September 1939 zeigt, wie eng Weltgeschichte und Dorfgeschichte verwoben sind, wie politische Entscheidungen in fernen Hauptstädten plötzlich in den Alltag einfacher Menschen eingreifen.
Dass heute, mehr als 80 Jahre später, die Namen der Opfer in Rohrbach wieder ausgesprochen werden, ist Ausdruck einer Haltung, die über das reine Gedenken hinausgeht. Es ist der Versuch, das menschliche Maß in einer Zeit wiederzufinden, in der der Krieg längst zur abstrakten Zahl geworden ist.
Am Sonntag, dem 12. Oktober 2025, luden die Rohrbacher Heimatfreunde zu einem Vortrag und einem gemeinsamen Gang zur Unglücksstelle ein. Dort, wo einst Feuer und Rauch den Himmel verdunkelten, wächst heute Gras. Doch wer hinhört, kann noch immer etwas von der Stille danach spüren – jener Stille, die mahnt, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.